Hilflos im Hurrikan
- Jens Brambusch
- 29. Okt.
- 3 Min. Lesezeit

Es sind unfassbare Bilder, die uns erreichen. Bilder von Zerstörung, Leid und Elend. Von Straßen, die zu Flüssen wurden. Von Wäldern, die wie Streichhölzer umknickten, von Sieldungen ohne Dächer. Binnen weniger Stunden hat Hurrikan Melissa Jamaika in ein Katastrophengebiet verwandelt. Ganze Orte und Städte sind von der Außenwelt abgeschnitten. Kein Strom, kein Trinkwasser, kein Mobilfunkempfang.
Noch gibt es keine Auskünfte über Verletzte oder Tote. Aber es ist das Schlimmste zu befürchten. Denn viele Jamaikaner haben auf das Angebot, Schutz in Notunterkünften aufzusuchen, abgelehnt. Laut Regierung wurden gerade einmal 6000 Betten belegt. 6000 von knapp drei Millionen Einwohner. Die meisten glaubten, es mit den Launen der Natur aufzunehmen zu können. Doch Hurrikan Melissa stellte alles bisher dagewesene in den Schatten.
Beim Landfall auf Jamaika gestern Mittag nahe der 4000-Seelen-Gemeinde Black River wurden Sturmspitzen von 298 Stundenkilometern gemessen. Zur Einordnung: Von Windstärke 12, also einem Orkan, spricht man bereits ab 118 km/h. Das Barometer sank auf unglaubliche 892 Hektopascal, ein Wert so niedrig, das handelsübliche Barometer ihn gar nicht mehr anzeigen können.
Dazu rechnen Experten in den Bergen Jamaikas mit einem sintflutartigen Niederschlag von bis zu 101 Zentimetern. Normalerweise werden Niederschlagsmengen in Millimetern angegeben und schon 100 Millimeter gelten als Starkregen. Diesmal sind es Zentimeter. Der Regen aus den Bergen, so wird befürchtet, wird sich seinen Weg bahnen, hinunter zum Meer, und alles mitreißen, was sich ihm in den Weg stellt. Bäume, Autos, Müll und ganze Hütten.
In Guatemala waren wir weit weg von Melissa. Wir haben also wieder mal Glück gehabt. So wie letzte Hurrikansaison. Eigentlich wollten wir vergangenes Jahr wieder nach Grenada segeln, wo wir auch Teile unserer ersten Hurrikansaison verbracht hatten. Aber dann sind wir in Luperon in der Dominikanischen Republik versackt. Ein Wink des Schicksals. Denn vergangenes Jahr wütete Hurrikan Beryl ungewöhnlich früh im Jahr nördlich von Grenada, zerstörte die kleine Insel Carriacou und einige Eilande der Grenadinen. Orte, an denen wir bereits waren.
Die Bilder von den Verwüstungen durch Hurrikans machen betroffen. Auch im fernen Europa. Aber hat man diese Orte vor der Katastrophe kennengelernt, dann schmerzt es noch mehr. Und hat man Freunde dort, ist es noch viel schlimmer.

Und so bangen wir gerade um das Wohl einiger Freunde auf Kuba. Freunde wie Josefina aus dem kleinen Fischerort Marea del Portillo. Wir hatten sie bei unserem ersten Besuch kennengelernt, als wir in der Bucht vor dem Dorf ankerten. Arzum schloss Freundschaft mit ihr, verbrachte Stunden auf den wackeligen Schaukelstühlen in der kleinen Fischerkate. Als wir im Januar diesen Jahres zurückkehrten, war die Freude groß. Seither steht Arzum mit Josefina wöchentlich in Kontakt. Die beiden schreiben sich über WhatsApp.
Als sich andeutete, dass Melissa Kurs auf Kuba nehmen könnte, fragten wir vorsichtshalber nach, ob sie darüber informiert seien. Sie waren es nicht. Fortan schickten wir jeden Tag mehrere Updates nach Kuba, denn, so sah es aus, könnte Marea del Portillo genau im Auge des Hurrikans liegen. Von dem kleinen Ort würde nichts mehr übrigbleiben. Die Bewohner sind gebeutelt. Ziemlich genau vor einem Jahr erschütterte ein Erdbeben die Region, einige Häuser stürtzen ein, andere wurden beschädigt. Kaum eines konnte seitdem repariert werden.
Kuba befindet sich in der größten Wirtschaftskrise seit der Revolution und staatliche Hilfe ist rar. Der Fernseher, auf dem Arzum und Josefina gemeinsam türkische Seifenopern schauten, ist kaputt. Er war bei dem Erdbeben aus dem Regal gefallen. Der Mobilfunkempfang ist brüchig und auch Strom gibt es nur für ein Stunden am Tag. Nachrichten kommen nur noch spärlich in dem Ort an.

Und so war Josefina froh, unsere Wetter-Updates zu bekommen. Noch bevor die Regierung in Havanna in letzter Minute mit Evakuierungen begann, hatten Josefina und ihre Nachbarn ihr Hab und Gut ins Hinterland und damit hoffentlich in Sicherheit gebracht.
Unsere letzten Nachrichten haben Josefina nicht mehr erreicht. Die Vorboten des Hurrikans hatten wahrscheinlich bereits die Infrastruktur lahmgelegt. Heute morgen ist Melissa auf Kuba angekommen. Etwa 40 Seemeilen östlich von Marea del Portillo war der Landfall des Hurrikans. Wir hoffen, bald wieder Nachrichten aus Kuba zu empfangen. Gute Nachrichten.
Über Hurrikan Melissa und die Probleme der Wettermodelle haben ich auch für das Floatmagazin geschrieben.








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