Sie sind jung und segeln um die Welt
- Jens Brambusch
- 2. Sept.
- 4 Min. Lesezeit

Wer an Langfahrtsegler denkt, sieht vor seinem inneren Auge meist knorrige, bärtige Männer mit von Salzwasser und Sonne gegerbter Haut. Oder ein rüstiges Rentnerpärchen, das sich nach einem langen harten Arbeitsleben seinen Traum von der Weltumseglung erfüllt hat.
Als ich 2018 mein Leben an Land gegen das auf einem Segelboot tauschte, da war ich bereits 46 Jahre alt. Aber ich fühlte mich extrem jung. Und mutig. Aber natürlich gab es auch Momente, in denen ich mich fragte, ob die Entscheidung, alles, was ich mir in Deutschland aufgebaut hatte hinter mir zu lassen, richtig war. Doch schon wenige Tage nachdem ich auf die Dilly-Dally gezogen war, nahm mir ein älterer Herr alle Zweifel. Denn es ereignete sich folgende Szene, die ich im Buch "Tausche Büro gegen Boot" so beschrieben habe:
Zwei Tage später humpelt ein älterer Herr an meinen Boot vorbei. Ein Engländer. Er bleibt vor der Dilly-Dally stehen, fragt, ob es sich um eine Moody handelt. Ich bejahe. Wir plaudern noch ein wenig, der übliche Smalltalk unter Seglern. Dann erzähle ich ihm, dass ich meinen Job gekündigt und die Wohnung verkauft habe, um fortan auf dem Boot zu leben. Er mustert mich skeptisch, fragt wie alt ich bin. „46“, antworte ich. Er nickt einfach, hebt die Hand zum Abschied. Wie er so davonschleicht, mit gekrümmtem Rücken und hängenden Schultern, erinnert er mich ein wenig an Colombo. Und tatsächlich dreht er sich noch einmal um. „Alles richtig gemacht!“, ruft er dann und kommt noch einmal zurück. „Wissen Sie, ich habe mein Leben lang gearbeitet, dabei war es auch mein Traum, auf einem Segelboot die Welt zu erkunden.“ Jedes Jahr aufs Neue habe er seinen Plan verschoben. Gründe dafür habe er immer gefunden. Er sei Anwalt gewesen, habe eine gut gehende Kanzlei geführt. „Finanziell hatte ich längst ausgesorgt“, sagt er. Aber er habe gearbeitet bis er alt war. Geackert, bis er sich auch alt fühlte. Jetzt lebe er zwar mit seiner Frau auf dem Segelboot, sei aber nicht mehr fit genug, um das Abenteuer genießen zu können. Er traue sich weite Etappen nicht mehr zu. „Nächstes Jahr machen meine Frau und ich dann eine Reise auf einem Kreuzfahrtschiff“, sagt er. „So sehen wir wenigstens noch einmal die Orte, zu denen wir eigentlich segeln wollten.“ Er klingt melancholisch. Dann dreht er sich um und humpelt zu seinem Boot.
In der Türkei, das merke ich schnell, gehöre ich eher zu den jungen Aussteigern. Die Liveaboards sind meist einige Jahre älter als ich. Das ändert sich, als ich im Sommer 2022 zusammen mit Arzum Richtung Atlantik starte. Im spanischen Almerimar, einem klassischen Absprunghafen, in dem viele Segler noch einmal ihr Boot für den Sprung über den Atlantik rüsten, lernen wir einige Segler kennen, die deutlich jünger sind als wir. Wie die Crew der Amelija, drei Jungs im Alter von 18, 19 und 27 Jahren. Sie haben sich online kennengelernt und gemeinsam ein altes Boot gekauft, mit dem sie über den Atlantik segeln wollen. Im Floatmagazin habe ich über sie berichtet. "Drei Jungs im Abenteuerland" ist der Artikel überschrieben. Aber da sind auch Thilo und Alina von der Strawanza, gerade mal um die 30 Jahre alt, die sich ihren Traum von der Langfahrt erfüllen.
Ich bin überrascht, wie viele junge Leute wir treffen, die den Mut aufbringen und über den Atlantik segeln. Mutig deshalb, weil sie aus gängigen Mustern ausbrechen und ihr geregeltes Leben an Land aufgeben, zumindest auf Zeit. Statt "Schaffe, schaffe, Häusle baue" leben sie ihren Traum. Und das in einem Alter,

Weihnachten 2022 verbringen wir auf Lanzarote. Die erste Atlantikpassage liegt hinter uns, vor uns die nächste Etappe auf die Kapverden und dann der große Sprung über den Atlantik. Natürlich sind wir aufgeregt.
Beim Proviantieren trifft Arzum auf Talissa von der Beluga. Zusammen mit ihren Freund Finn will Talissa, damals 29 Jahre alt, um die Welt segeln. Aber anders als wir werden sie in den nächsten Tagen direkten Kurs auf die Karibik setzen. Wir kennen die Beluga bislang nur vom Hörensagen, denn sie sind mit Thilo und Alina von der Strawanza befreundet. Arzum und Talissa haben es in dem Geschäft, in dem sie sich zufällig getroffen haben, auf das gleiche Produkt abgesehen: die letzten Plastikschalen für Eier. Da wir die Dilly-Dally noch einmal an Land hieven müssen, haben wir keinen Zeitdruck. Arzum überlässt Talissa die Eierschalen, tauscht Kontaktdaten. Fortan verfolgen wir die beiden via Instagram. Wir wollen ja schließlich sehen, wie es "unserer" Eierschale so ergeht.
Während wir, Stand Anfang September 2025, immer noch in der Karibik herum dümpeln, haben Talissa und Finn ihren Lebenstraum bereits erfüllt und die Welt umrundet. Mitte Oktober wollen sie unter der Elbphilharmonie in Hamburg einlaufen. Über ihre Reise, die abenteuerliche Route durch das Rote Meer und darüber, wie die beiden auf ihre Weltumseglung hingearbeitet haben und sich die Zukunft zurück im Arbeitsleben vorstellen, habe ich mit den beiden gesprochen. Der Artikel: "Mit Anfang 30. Diese beiden haben die Welt umsegelt ‒ und der Angst getrotzt" ist heute bei Spiegel Online erschienen. Allerdings hinter der Bezahlschranke. Aber auch hier gilt: Guter Journalismus muss ja irgendwie bezahlt werden.







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